Karin Klingen ist seit dem Jahr 2018 – also seit ca. 3 Jahren – Präsidentin des Rechnungshofs von Berlin. Seit ihrem Wechsel hat sich im Rechnungshof von Berlin viel verändert. Die Organisationskultur in der Behörde, der einst nicht der beste Ruf vorauseilte, befindet sich im starken Wandel. Für mich – Jens Wellendorf – ist der Rechnungshof von Berlin ein Beispiel dafür, dass auch in klassischen Behörden innerhalb von kur-zer Zeit große Veränderungen eingeführt werden können. Im Interview habe ich mit Frau Klingen darüber gesprochen, was sich seit Ihrem Wechsel zum Rechnungshof von Berlin verändert hat, welche Rolle sie dabei spielte und, was sie noch vorhat.

Wellendorf:
Frau Klingen! Schön, dass Sie sich für dieses Interview zur Verfügung gestellt haben.
Wie war es für Sie, im Jahr 2018 zum Rechnungshof zu wechseln? Welches Bild hatten Sie von der Behörde und was waren Ihre ersten Ideen für Veränderungen?

Klingen:
Als ich 2018 zur neuen Präsidentin des Rechnungshofs von Berlin gewählt wurde, habe ich mich sehr gefreut. Denn auch wenn der Rechnungshof noch nicht überall bekannt ist, hat er eine sehr wichtige und spannende Aufgabe. Im neuen Amt habe ich den Eindruck gewonnen, dass die Behörde über viele Jahre relativ unverändert gearbeitet hat und Veränderungen nötig sind. Unter anderem aufgrund von Schwierigkeiten bei der Personalgewinnung habe ich direkt zu Beginn die Vision formuliert, dass der Rechnungshof innerhalb von sechs Jahren zu der Behörde werden soll, bei der alle in Berlin arbeiten wollen.
Ich habe dann auch unmittelbar versucht, diese Vision ziemlich energisch zu verfolgen. Das hat – das muss ich zugeben – zunächst schon auch zu Reibungsverlusten, Stress und Aufregung in der Behörde geführt. Die bereits erreichten Erfolge zeigen jedoch, dass es sich gelohnt hat. Sie motivieren, weiter zu machen.

Wellendorf:
Was sind aus Ihrer Sicht die größten Veränderungen des Rechnungshofes innerhalb der letzten drei Jahre? Wie steht der Rechnungshof heute da, wie hat er sich entwickelt?

Klingen:
In den drei Jahren hat sich tatsächlich schon einiges verändert. Wir sind unter anderem offener, vielfältiger und digitaler geworden.
Als Rechnungshof kann man seine Unabhängigkeit unterschiedlich leben. Man kann sich entweder abschotten, oder man kann sich anderen gegenüber öffnen, mit ihnen in den Dialog treten und so sowohl die eigene Position bekannt machen, als auch an aktuellen Entwicklungen teilhaben. Ich habe intensiv den zweiten Ansatz verfolgt. Unter anderem habe ich erreicht, dass der Rechnungshof erstmalig im Parlament ein Rederecht erhält. Das war auch für mich persönlich ein schöner Erfolg.
Durch neue Ansätze bei der Personalgewinnung sind wir vielfältiger geworden. Wir stellen jetzt neben erfahrenen Verwaltungskräften auch junge Akademikerinnen und Akademiker unterschiedlicher Fachrichtungen ein.
Während der Coronapandemie haben wir riesige Fortschritte beim mobilen Arbeiten gemacht. Zwischenzeitlich haben fast alle Dienstkräfte des Rechnungshofs von zu Hause gearbeitet. Wir haben gemerkt, dass die Zusammenarbeit auch so funktioniert. Ich denke, dass dies auch auf Dauer zu großen Veränderungen bei uns führen wird. Auch nach der Pandemie wollen wir den Dienstkräften möglichst viel Flexibilität ermöglichen.

Wellendorf:
Welche Faktoren sind denn aus Ihrer Sicht diejenigen, die am stärksten zu dieser Veränderung beitragen?

Klingen:
Ich denke es ist wichtig, dass man die Veränderung wirklich will und von ihr überzeugt ist. Sonst hält man den Veränderungsprozess, der ja von verschiedenen Wellenbewegungen geprägt ist, nicht durch. Außerdem braucht man ein Team, das einen unterstützt. Alleine kann man es nicht schaffen.

Wellendorf:
Also in erster Linie sind Sie als Präsidentin diejenige, die die Veränderung wollte, oder würden Sie sagen, auch in der Belegschaft wollten viele die Veränderung?

Klingen:
Ich würde schon sagen, dass es, als ich gekommen bin, auch innerhalb der Belegschaft eine Wechselstimmung gab. Viele Beschäftigte wollten Veränderungen. Ob sie immer die Veränderungen in allen Facetten so wollten, wie sie dann von mir mitgestaltet wurden, weiß ich nicht. Dieses Bedürfnis nach Veränderung hat natürlich sehr geholfen. Aber es muss auch jemand da sein, der sie vorantreibt.

Wellendorf:
Sie haben auch gesagt „man braucht ein Team“. Was ist denn Ihr Team im Rechnungshof? Haben Sie sich das aufgebaut oder war das schon da, als Sie kamen?

Klingen:
Das habe ich schon auch aufgebaut. Ich habe nach und nach Menschen mit Veränderungswillen zusammengeführt. Zum Beispiel in Projekten, in denen sie Einfluss auf die Entwicklung des Rechnungshofs nehmen können.
In einem der Projekte – ADA (automatisierte Datenanalyse) – habe ich den Projektmitgliedern lediglich das Thema vorgegeben und ihnen die Projektentwicklung überlassen. Ich wollte, dass die Dienstkräfte innovativ, völlig losgelöst und kreativ arbeiten können. Es überrascht mich selbst zu sehen, wie sehr sich dieses Vorgehen bewährt hat. Es ist wirklich ein großer Erfolg. Die Projektmitglieder haben sich selbst neue Ideen gegeben und eine gute Struktur geschaffen. Sie nutzen jetzt zum Beispiel Methoden des agilen Projektmanagements und Design Thinkings. Das Projekt zeigt, dass es sich auszahlt, wenn man neue Wege geht.

Wellendorf:
Tolle Idee! Und daneben haben Sie auch ein Steuerungsgremium eingesetzt als Soundingboard, das die Belegschaft repräsentiert. Dieses Steuerungsgremium hat mehrfach getagt. Welchen Stellenwert hat das in der Veränderung der Kultur beim Rechnungshof?

Klingen:
Das Steuerungsgremium setzt sich aus allen fachlichen Bereichen und Statusgruppen zusammen. Es stellt daher einen ganz guten Querschnitt des Rechnungshofs dar. Ich nutze es, um alle zwei, drei Monate ganz offen sowie fach- und hierarchieübergreifend über die anstehenden Themen zu diskutieren.
Es hat sich als sehr wichtig sowohl für den Rechnungshof als auch für mich erwiesen. Im Steuerungsgremium bekomme ich frühzeitig ein ehrliches Feedback. Die Mitglieder des Gremiums sind Multiplikatorinnen und Multiplikatoren. Sie leisten einen wichtigen Beitrag zur internen Kommunikation und tragen zur Akzeptanz bei.
Obwohl das Gremium eigentlich nur zur Umsetzung unserer letzten Mitarbeitendenbefragung etabliert wurde, soll es nun auf Wunsch aller Beteiligten verstetigt werden. Das ist eine schöne Entwicklung und wird dazu beitragen, dass wir kontinuierlich im Gespräch bleiben.

Wellendorf:
Auch durch die Art der Zusammenarbeit in diesem Gremium haben wurden ja neue Welten im Rechnungshof eröffnet. Zum Beispiel wurde mit allen Führungskräften gemeinsam einen Open Space durchgeführt. Wie wurden solche Änderungen vom Rechnungshof aufgenommen?

Klingen:
Ich denke, dass dies ziemlich gut aufgenommen wurde und für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter spannend war. Es hat einen dauerhaften Eindruck hinterlassen und zu vielen subtilen Veränderungen geführt.
Gleichzeitig waren diese offenen Formate aber auch anspruchsvoll. Manche Probleme sind erst hier sichtbar geworden und mussten dann weiterbearbeitet werden.

Wellendorf:
Wie ich Sie kenne, sind Sie mit den Veränderungen noch nicht fertig. Was sind Ihre nächsten Pläne, was sich verändern soll? Und wie wird der Rechnungshof aussehen, wenn Sie zufrieden sind und sagen „Jetzt bin ich fertig.“?

Klingen:
Ja, der Veränderungsprozess ist noch nicht abgeschlossen.
Wie bereits erwähnt, haben wir letztes Jahr begonnen, eine größere Zahl von jungen Akademikerinnen und Akademikern als Prüferinnen bzw. Prüfer einzustellen. Das ist eine große Neuerung für den Rechnungshof, denn in der Vergangenheit war es gesetzlich vorgegeben, dass wir langjährige Verwaltungskräfte einstellen. Es ist nun eines meiner Hauptziele, dass die neuen und die erfahrenen Kolleginnen und Kollegen zu einem gemeinsamen Team werden und voneinander lernen. Dadurch könnten wir, glaube ich, nochmal eine ganz andere Bandbreite von Sichtweisen und Prüfungsmöglichkeiten erreichen.
Ein weiteres wichtiges Thema ist, dass wir mit den wandelnden Rahmenbedingungen Schritt halten und zu einer modernen Behörde werden. Ich denke, dass es in fünf, sechs Jahren noch schwieriger für uns sein wird, gutes Personal zu gewinnen. Deshalb müssen wir sicherstellen, dass wir jetzt die Weichen für die Zukunft stellen und auch Innovationen für unsere Zwecke nutzen. Das erwähnte Projekt ADA, das sich mit der automatischen Analyse von Daten und perspektivisch künstlicher Intelligenz befasst, ist ein wichtiger Schritt in diese Richtung. Auch die anderen Projekte leisten einen wichtigen Beitrag dazu, den Rechnungshof zukunftsfähig zu machen. Sie befassen sich beispielsweise mit der Einführung der E-Akte oder der Weiterentwicklung des Onboardings für neue Beschäftigte.

Wellendorf:
Der Rechnungshof als modernste Behörde in Berlin – ist das Ihr Plan?

Klingen:
Ja. Als unabhängige Behörde von überschaubarer Größe haben wir relativ gute Rahmenbedingungen. Diese möchte ich nutzen, um eine Art Modellbehörde zu schaffen.
Das geht nicht von heute auf morgen. Wenn meine selbst gesetzte Frist von sechs Jahren vorbei ist, können wir gerne nochmal schauen, wo wir dann stehen.

Wellendorf:
Gibt es etwas, was Sie von allen Ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern erwarten?

Klingen:
Ich erwarte grundsätzlich von allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, dass sie offen für Veränderungen sind. Ich habe zwar Verständnis dafür, dass Veränderungen für Menschen oft nicht einfach und auch mit Ängsten verbunden sind, aber wir können es uns nicht erlauben, stehenzubleiben. Die Welt verändert sich kontinuierlich. Wenn wir uns nicht verändern, nehmen wir uns einen großen Teil dessen, was wir erreichen könnten.

Wellendorf:
Ich finde das sehr beeindruckend. Würden Sie Ihrer besten Freundin empfehlen, sich beim Rechnungshof zu bewerben?

Klingen:
Ja! Bei uns finden neue Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nicht nur eine wichtige Aufgabe, sondern auch die Gelegenheit, den Wandel bei uns mitzugestalten.